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Wiesbadener Kurier vom 20.02.2009

Die "Generation Blog" reimt, parliert, plaudert und kalauert

Schlachthof: Dirk Bernemann zu Gast beim Wiesbadener Literaturverein "Where the wild words are"
Von Kathrin Schwedler

WIESBADEN. Zehn Jahre gibt es nun den kultigen Wiesbadener Literaturverein "Where the wild words are". Mit Poetry Slams, Open Mic und Lesungen im Monatsrhythmus hat die sechsköpfige Crew dafür gesorgt, dass es im Schlachthof eine feste Adresse für das gibt, was man im alten Stil als "literarische Avantgarde" bezeichnet. Die "Generation Blog" reimt, parliert, plaudert und kalauert sich zumeist kurz getextet in Locations wie der Räucherkammer oder auch beim WDR-Fernsehen in Slambewerben, durch ein Leben, das irgendwie aus Sex, Drugs und Rock´n´Roll besteht. Gründungsväter dieser Performances sind Autoren wie Frank Goosen, der als Performance-Duo mit Jochen Malmsheimer unter dem Namen "Tresenlesen" mit Kneipenauftritten startete. Ahne im Geist ist die Beatnik-Bewegung der USA in den 1970ern. Bei "Where the wild words are" trifft sich die örtliche Poetry-Family aus Schülern, Bohemians und in die Jahre gekommenen Altstudenten. Vom optischen Styling ein Flashback in die Kohl-Ära. Nur dass diese verspäteten Hippies, Punks und Parkaträger anhaltend in ihre Handys tippen - und die Bionadevitrine leuchtet.

Wenn man sich auf einer Party die laute Musik übertönend anschreit, das nenne man jetzt "Kommunikation" - so der lakonische Befund von Dirk Bernemann. Der bekennende Coesfelder ist einer der aufstrebenden Heroen aus dem Bereich einer Befindlichkeitsliteratur von exzessiver Selbstbeobachtung bei maximaler Selbstironie. Das dörfliche Discotreiben nachts um drei bringt der blonde Koteletten- und Kinnbartträger schnörkellos auf den Punkt: "Der Raum und die Menschen waren komplett voll." Überhaupt: Suff. Die Kurzgeschichten von Bernemann, dessen Textsammlungen Titel wie "Wir scheitern immer schöner" oder "Ich hab die Unschuld kotzen sehen" tragen, spielen vorwiegend im Milieu pseudorebellischer "Boheme", die ständig im Kampf mit der Mutter, dem Mangel an gutem Sex oder Drogen ist.

Aktuelles Bernemann-Buch: "Ich bin schizophren und es geht mir allen gut". Auf dem Cover der Autor als Jogginghosen-Proll, bebrillter Kunstschaffender und Schwiegersohndarsteller. Skizziert werden hier Lebensläufe unverhoffter Bedeutungslosigkeit. Deprimierte Zwanzigjährige reden "Mädchenbefindlichkeitszeug". Ex-Lover verschanzen sich in Hotelabsteigen, rufen besoffen "Die Liebe ist ein Held" in die autoumtobte Industrielandschaft. Gymnasiastinnen machen beim Rock-Festival mit Alk und Drugs bei brennenden Klappstühlen und mit der Handykamera im Anschlag nach dem Schema "Wenn Mutti das wüsste" ordentlich einen drauf. Ein Macho badet sich bei der detailbesessenen Erotikschilderung seiner notorischen Frauenverschleißerei in formvollendetem Selbstmitleid.

Romantik buchstabiert sich da so knapp wie eine SMS: "Neulich. Im Bett. Ich liebe dich".

(Quelle: Wiesbadener Kurier vom 20.2.2009)

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