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Wiesbadener Kurier vom 26.09.2003:

Ein böses Buch

"Kult"-Autor Feridun Zaimoglu im Schlachthof
Von Kurier-Mitarbeiterin Andrea Milke

Eins muss man ihm lassen: Er versteht es, zu polarisieren. Die einen sind begeistert, die anderen verschmähen ihn. Der in der Türkei geborene, aber schon seit über 30 Jahren in Deutschland lebende Schriftsteller Feridun Zaimoglu ist dafür bekannt, kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Besonders seit seinem letzten, im vergangenen Jahr erschienenen Roman "German Amok", in dem sein Protagonist so ziemlich über jede Gesellschaftsgruppe herzieht, die Deutschland zu bieten hat.

"Where the wild words are" e.V. hat im Rahmen der gleichnamigen Reihe diesen "Kult"-Autor nach Wiesbaden geholt, der mit dem Auftritt in der Räucherkammer des Schlachthofs auch seine diesjährige Lesereise beendete. Bevor Zaimoglu sich jedoch seinem neuesten Werk widmete, stimmte er das vorwiegend junge Publikum mit einem Liebesbrief "der klassischen Art" auf den Abend ein. Oder eher der harmlosen Art, denn von Zaimoglus verbaler Brutalität ist hier noch wenig zu spüren, auch wenn seine laute und harte Stimme selbst ein "Ich liebe dich" distanziert und kalt klingen lässt. Das amüsante Gespräch zweier türkischer "Latin Lover" in der Disco, die sich von Mohammed in Segafredo umbenennen, um als Exil-Kubaner bessere Chancen bei den Frauen zu haben, kommt harmlos daher. Die Frage "Geht's noch?" an sein Publikum war zu diesem Zeitpunkt also noch gar nicht nötig. Schließlich kündigte er, bevor er hinter dem, die Bühne umgebenden, Glitzervorhang verschwand, selbst an, erst im zweiten Teil werde es "etwas härter" zugehen. Wer ihm da noch immer nicht glauben wollte und in der Pause frohen Muts dem eigenen Werk für den anschließenden Poetry Slam einen letzten Schliff verlieh, wurde eines Besseren belehrt.

Die zwei Kapitel aus "German Amok", die Zaimoglu präsentierte, zeigen genau das, was der Autor zu Anfang selbst von seinem mittlerweile vierten Roman behauptet: "Es ist ein böses Buch." Ob nun in allen Details beschrieben wird, wie der Protagonist im Schlachthaus am Fließband zum "Serienmörder" wird, oder ob er seine stumme, auto-aggressive Mitbewohnerin Mongo-Maniac lautstark angreift. Da ist es auch nicht verwunderlich, dass dem Autor beim Herausbrüllen seiner oft minutenlangen Beschimpfungen, ab und zu die Stimme versagt. Man spürt förmlich, was Zaimoglu seiner Figur in den Mund legt: "Hass ist der einzige Leim, der ihn zusammenhält."
Das alles schien die Anwesenden jedoch nicht zu stören, waren doch im Schlussapplaus sogar Zugaberufe zu hören.

Foto, Unterzeile: Zaimoglu nimmt kein Blatt vor den Mund.
(Quelle: Wiesbadener Kurier vom 26.09.2003)

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